Firmen im Kreis Meißen: Warum ein guter Chef heute auch Psychologe ist

Frau Dr. Rohac, der Landkreis Meißen ist geprägt von zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wie verändert sich Ihrer Einschätzung nach das Führungsverständnis gerade in solchen Betrieben?

Stephanie Rohac: Zunächst einmal: Auch kleine und mittelständische Unternehmen sind heute mitten im Wandel, und zwar nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Megatrends wie Digitalisierung, KI (Künstliche Intelligenz, Anm. d. Red.), aber auch veränderte Erwartungen der Mitarbeitenden sind große Veränderungswellen, mit denen Organisationen umgehen müssen. Das konventionelle Verständnis von Führung im Sinne von Kontrolle, Allwissenheit und linearer Planung, stößt in diesen Kontexten oft an seine Wirksamkeitsgrenzen.

Was es heute braucht, sind Führungskräfte, die in der Lage sind, ein positives Zukunftsbild zu entwickeln und Mitarbeitende mit auf eine Lern- und Entwicklungsreise einzuladen. Gerade weil Strukturen und Prozesse in kleinen und mittelständischen Unternehmen oft kürzer und direkter sind als in Konzernen, liegt hier eine große Chance, aktiv und wirksam zu gestalten.

Mehr und mehr sind auch psychologische Kompetenzen gefragt, um echte Verbundenheit zu ermöglichen. Empathie, Zuhören, Wertschätzung, all das schafft Nähe, Vertrauen und Wirksamkeit im Miteinander. Das sind keine „weichen Themen“, sondern Schlüsselkompetenzen für Mitarbeiterbindung und -anziehung.

Traditionelle Führungsmodelle basieren oft auf klaren Hierarchien. Welche neuen Führungsansätze sehen Sie im Kommen?

Hierarchien an sich sind nicht das Problem. Die entscheidende Frage ist: Wie werden sie gelebt? Wenn Hierarchie bedeutet, dass Entscheidungen nach oben verschoben, Verantwortung delegiert und Prozesse unnötig verlangsamt werden, dann ist dies hinderlich. In einer Welt, die Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Veränderungskompetenz erfordert, brauchen es mehr Netzwerkstrukturen, flexible Lernprozesse und stärkere Verantwortungsverteilung.

Welche Rolle spielen Werte wie Vertrauen, Transparenz und Selbstverantwortung?

Gute Führung beginnt mit einem Bewusstsein für die eigenen Werte und dem Mut, die eigene Praxis immer wieder zu hinterfragen. In der Psychologie sprechen wir hier von psychologischer Sicherheit. Diese entsteht, wenn Menschen auch unbequeme Fragen stellen, Bedenken offen äußern oder Neues ausprobieren dürfen, ohne Angst vor Abwertung oder Sanktionen. Vertrauen und Wertschätzung sind dabei mehr als „schöne“ Gefühle. Sie sind wichtige Elemente einer lernenden Organisationskultur.

Wer ständig nur am Segel zieht, aber nie den Kompass prüft, verpasst die Windrichtung oder fährt im Kreis;

Stephanie Rohac

Expertin für Organisationsentwicklung und Change-Prozesse

 

Fachkräftemangel, Energiepreise oder Digitalisierung: Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte heute?

Krisen sind zweifellos herausfordernd, sie rütteln an Sicherheit, Routinen und Selbstverständlichem. Gleichsam eröffnen Krisen immer auch zahlreiche Möglichkeiten. Es geht nicht darum, jede Antwort zu kennen. Neugier und Lernbereitschaft sind heute zentrale Führungskompetenzen. Wer sagt: „Das haben wir schon immer so gemacht“, verschließt sich dem Wandel. Wer dagegen mit einem „Lass uns das ausprobieren!“ oder „Das ist eine gute Idee!“ neue Wege geht, öffnet Räume für Entwicklung.

In einer Zeit, in der viele Unternehmen im Landkreis Meißen vor einer Generationenübergabe stehen: Welche Führungsfragen müssen sich sowohl Übergeber als auch Nachfolger stellen?

Eine Generationenübergabe im Unternehmen ist weit mehr als ein formaler oder wirtschaftlicher Prozess, sie ist ein tiefgreifender Führungswechsel. Es geht dabei auch um Identität, Haltung und Unternehmenskultur. Beide Seiten brauchen in diesem Prozess Offenheit und Klarheit. Und die gemeinsame Frage: Wie wollen wir führen, damit das Unternehmen auch für die nächste Generation lebendig und wirksam bleibt?

Wie gelingt es Führungskräften, Mitarbeitende über verschiedene Altersgruppen hinweg mitzunehmen?

Der Begriff „Mitarbeitende mitnehmen“ greift für mich zu kurz. Es klingt nach: „Ich weiß, wo’s langgeht und alle anderen kommen hinterher.“ Führungskräfte sollten keinen Druck erzeugen, sondern Sog.

Frau Dr. Rohac, was sind aus Ihrer Sicht die ersten konkreten Schritte, um einen Wandel in der Führungskultur erfolgreich anzustoßen?

Viele Führungskräfte fühlen sich derzeit überlastet und überfordert. Das wird mir immer wieder gespiegelt, das sehen wir in zahlreichen Studien. Und das ist normal, denn mit konventionellen Methoden à la „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, „Nicht kritisiert ist schon Lob genug“ oder „Lass mich das mal machen“ stoßen viele an ihre Grenzen.

Als erste kleine Schritte lade ich Führungskräfte ein, die eigene Führungsidentität zu erkunden, zu fokussieren und sich selbst weiterzuentwickeln. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende drei Fragen: Worin bin ich stark und was macht mir in meiner Führungsrolle wirklich Freude? Wie sehe ich mich selbst – und wie sehe ich andere? Und was von dem, was ich täglich tue, ist wirklich wirkungsvoll?

Führen heißt heute Ermöglichen

Gerade in kleineren Unternehmen sind Führungskräfte oft stark ins Tagesgeschäft eingebunden. Wie kann dennoch Raum für Reflexion entstehen?

Wenn alle ständig nur „im System“ arbeiten, fehlt der Blick auf das System. Dabei gleicht Führung dem Steuern eines Segelboots. Wer ständig nur am Segel zieht, aber nie den Kompass prüft, verpasst die Windrichtung oder fährt im Kreis. Es braucht regelmäßig Momente, in denen der Blick vom Wellengang zur Route wandert. Ein zentraler Hebel für Führungskräfte ist das gezielte Loslassen.

Wer weniger kontrolliert und stattdessen Handlungsspielräume für Mitarbeitende schafft, entlastet nicht nur sich selbst, sondern stärkt auch Selbstverantwortung im Team. Führung heißt heute oft: ermöglichen.

Welche Chancen ergeben sich durch den Führungswandel für die Attraktivität der Region Meißen als Arbeits- und Lebensort im Wettbewerb um Fachkräfte?

Führung hat nicht nur Einfluss auf Unternehmen. Führung prägt auch, wie wir Arbeit und Leben in einer Region wahrnehmen. Denn wenn sich die Führungs­kultur verändert, verändert sich auch die Organisationskultur. Die ist kein Kuschelfaktor, sondern harte Währung für das Anziehen und Binden von Mitarbeitenden.

Laut Gallup Engagement Index Deutschland 2024 hat die emotionale Bindung der Beschäftigten in Deutschland 2024 ein Rekordtief erreicht. Nur noch neun Prozent der Mitarbeitenden sind emotional gebunden, während 78 Prozent lediglich Dienst nach Vorschrift machen. Die Top 5 der Gründe für diese geringe Bindung ist ein Vertrauensverlust in die Führung und die Zukunft des Unternehmens, eine defizitorientierte, defensive statt inspirierende Führungsweise, fehlende Wertschätzung und Anerkennung, zu wenig Mitgestaltungsmöglichkeiten sowie mangelnde Entwicklungsperspektiven.

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